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Arbeitskräftemangel auf dem Bau - Margot und Fritz Rau berichten

Zwischen 1956 und 1958 waren Arbeitskräfte auf dem Bau Mangelware. Aufträge waren da, aber es fehlte an Fachkräften. Ursache dafür war unter anderem die Abwanderung von Arbeitern zum „Daimler“. Da die überwiegende Zahl der Abwanderer noch eine Landwirtschaft hatte, konnten sie bei der Schichtarbeit zumindest alle zwei Wochen nachmittags nebenher noch ihre Felder bewirtschaften.
Bestrebungen, die Leute zu halten, waren nicht erfolgreich. Bemühungen auf der politischen Ebene scheiterten ebenso. Lothar Späth:“Gegen den Daimler komme ich nicht an!“
In Italien gab es in Verona eine deutsche Kommission, diese sollte Arbeitskräfte vermitteln. Alle Anträge, die dort eingingen, waren erfolglos, Telefonate hatten keinen Wert, das Arbeitsamt in Nagold zog ebenfalls nicht in erwünschter Weise mit.

Auf der Suche nach Arbeitskräften
In der Schickhardtstraße wohnte über uns die Familie Macor. Er war Maurer bei der Firma Rau, sie eine gebürtige Stuttgarterin. Beim Ansprechen des Arbeitskräftemangels meinte Frau Macor: „ In Italien gibt es keine Arbeit!“
Frau Macor fragte daraufhin im Heimatdorf des Ehemannes an, ob an einer Arbeitsaufnahme in Deutschland Interesse besteht. Das Interesse war da, alle kannten sich, die meisten waren miteinander verwandt und so stellte sich die Frage: Was könnte man tun? Hilfe vom Arbeitsamt war nicht zu erwarten, und so reifte der Entschluss: Wir probieren es selber und holen die Leute aus Italien.

Das Abenteuer Italien nimmt seinen Lauf
Ein Bus wurde bei der Firma Benz gechartert, der einige Tage später die künftigen Arbeiter aus Italien holen sollte.
1959 sind wir dann mit dem besten Auto der Firma nach Italien gefahren. Die Fahrt ging über München, Tarvisio nach Rivignano bei Udine, damals gab es noch keine Autobahn. Bereits in München ging die Thermoskanne bei einer zu flotten Kurvenfahrt zu Bruch, die Fahrt musste ohne Getränk überstanden werden. Die Birra- Werbung an der Straße mit dem schäumenden Bierglas machte den Durst noch größer.
In Rivignano angekommen, wurden wir von der Familie Macor, die den Winter dort verbrachte, freundlich empfangen.
Das ganze Dorf war abends mit Kind und Kegel in der Wirtschaft, wir Deutschen wurden fürstlich bewirtet. Die „stumme Gans “ und der gekochte Salat wurden tapfer gegessen, ebenso lernteman, wie man den Parmesankäse reibt.

Arbeitskräfte werden gewonnen
Am nächsten Tag wurden die Leute zusammengeholt, das Wichtigste wurde besprochen, Listen aufgestellt, die Pässe wurden gebracht.
Bis der Bus aus Nagold kam, war Zeit für einen kurzen Abstecher an die Adria nach Ligniano, für Venedig reichte die Zeit nicht.

Die Fahrt nach Deutschland beginnt mit Hindernissen
Als Herr Britsch mit dem Bus eintraf, wurde für den nächsten Tag die Abfahrt festgelegt. Alle Pässe kamen in eine Schuhschachtel, die ich bei mir verwahrte. Herr Britsch fuhr mit dem Bus voraus, wir mit dem PKW hinterher. Zunächst ging die Fahrt nach Verona, um dort bei der deutschen Kommission die Arbeitspapiere abzuholen.
Als wir am frühen Nachmittag dort ankamen und die Papiere verlangten, waren die Beamten hell entsetzt über unser Vorhaben. Angeblich wurde mit München telefoniert, nach mehreren Stunden kam der Bescheid: Ihr müsst wieder nach Rivignano zurück, um dort offiziell die Einreise zu beantragen. Was tun?

Verona wird Hals über Kopf verlassen
Da wir keine Hilfe aus Nagold erwarten konnten beschlossen wir nach langen Gesprächen: Wir fahren am nächsten Morgen weiter nach Deutschland. Die Italiener blieben im Bus, da wir beide und der Fahrer ziemlich übermüdet waren, wollten wir im Hotel übernachten.
Die Ruhe dauerte nicht lange, wir wurden herausgetrommelt, wir würden gesucht und stünden auf einer Liste, wir sollten schnell abhauen.
Herr Britsch fuhr mit dem Bus los, wir wollten hinterher, aber unser Auto sprang nicht an. Der Bus war weg, es war dunkel, mitten im nächtlichen Verona war keine Menschenseele zu sehen.
Als ich endlich den Schaden fand, ein loses Benzinkabel war die Ursache und diesen beheben konnte, fuhren wir los. Aber wohin? Ohne Navi, ohne Orientierung, in einer fremden Stadt, der Bus war weg und wir hatten alle Pässe.
Wir fuhren auf gut Glück Richtung Norden, an einer italienischen Kaserne fragten wir den wachhabenden Soldaten, ob er einen blauen Bus gesehen hätte. Er sagte si, si, aber ob er uns verstanden hat, wissen wir nicht.
Am Rande von Verona war eine Tankstelle, und dort stand der Bus. Alle waren erleichtert, die Fahrt Richtung Brenner konnte weitergehen.

Das nächste Hindernis wartet in Pfronten
An der Zollstation am Brenner wurden wir ohne Probleme durchgewunken, in Österreich konnten wir dann in einer Bäckerei etwas zu Essen für alle kaufen.
Als wir an der Grenze in Pfronten waren und unsere Pässe vorlegten wurden wir nach den Visa gefragt. Natürlich hatten wir keine. „Das geht überhaupt nicht. Fahrt wieder zurück!“
Wir verhandelten etwa zwei bis drei Stunden es wurde mit München telefoniert, aber es gab kein Ergebnis.
Als ich beiläufig erwähnte, dass wir schon zum Skifahren in Pfronten waren und vom Silvesterball der Grenzer begeistert waren, löste sich langsam der Widerstand. Eine dezente Spende in die Kameradschaftskasse tat dann das Übrige. Es wurde begonnen, die Visa auszustellen, aber dann kam die Ablösung.